Hinweise zu den Kandidatenwörtern 2010: Was bedeuten Daten die Kandidatenwörter für das österreichische Wort/Unwort 2010?
Die Kandidatenwörter für das WORT des JAHRES 2010
1.Abschiebungsministerin | Bezieht sich auf die derzeitige Innenministerin, die wegen der Abschiebung von Kindern und voll integrierten Asylbewerbern in die Kritik geraten ist. |
2. elektronische Fußfessel | Wesentliches Element des sog. „offenen Strafvollzugs“, der aber nicht allen Strafgefangenen bzw. Untersuchungshäftlingen trotz langer Haftdauer genehmigt wird, wodurch deren Einsatz diskutiert und der Begriff häufig in den Medien zu finden ist. |
3. fremdschämen | Tritt auf, wenn jemandem die Verhaltensweisen einer anderen (meist bekannten) Person so peinlich sind, dass man sich für diese schämt, obwohl dies bei der betreffenden Person nicht der Fall ist. |
4. Generation 2.0 | Bezeichnet jene Generation, die hauptsächlich über soziale Netzwerke wie Facebook oder Myspace miteinander kommuniziert. |
5. Grasservermutung | Synonymer Ausdruck für „Unschuldsvermutung“, der verkürzt auf die Handlungen des früheren Finanzministers verweist, die von den Strafverfolgungsbehörden untersucht werden. |
6. Intelligenzruine | Selbsterklärender Ausdruck, der es aufgrund seiner Originalität unter die Kandidatenwörter geschafft hat. |
7. Kabinenparty | Name des originellen Songs des Jahres des Rappers Skero, der auch sprachlich kreativ und originell ist. |
8. Photoshoplifting | Neuwortschöpfung, die die verbreitete Tendenz zur Verschönerung (lifting) von Gesichtern mit Hilfe des Grafikprogramms „Photoshop“ bezeichnet. |
9. Rehleinaugen | Ausdruck, den die derzeitige Innenministerin gegenüber Arigona Zogaj verwendete und damit meinte, dass sie von deren Augen nicht beeindruckt sei und sich nicht von ihrer Entscheidung zu deren Abschiebung abbringen lassen werde. |
10. verhaltenskreativ | Synonym für das, was man früher als „verhaltensauffällig“ bzw. „undiszipliniert“ (vor allem bei Jugendlichen) bezeichnet hat. |
Die Kandidatenwörter für das UN-WORT des JAHRES 2010
1. E-Card Urlaub | Abwertender Begriff für „Krankenstand“. |
2. humane Abschiebung | Ein widersprüchlicher Begriff, da Abschiebungen ins Ausland in der Regel nicht „human“ sind, vor allem, wenn sie Kinder betreffen. |
3. Migrationshintergrund | Ein euphemistisch gebrauchtes Wort, mit dem sehr oft das Wort „Zuwanderer“ bzw. „Zuwanderung“ vermieden wird. |
4. Minarettspiel | Name eines Internetspiels, mit dem eine rechte österreichische Partei das Abschießen von Minaretten durchführen ließ, was ihr den Vorwurf der Verhetzung einbrachte. |
5. Notverstaatlichung | Unklares und positiv klingendes Neuwort, mit dem die Verstaatlichung einer bankrotten Landesbank beschrieben, jedoch die Übernahme der Lasten durch den Steuerzahler verschleiert wird. |
6. Transparenzdatenbank | Schwer aussprechbarer Begriff, der nicht zur Transparenz beiträgt, da die Datenbank eigentlich „Transferleistungs-Datenbank“ bzw. „Subventions-Datenbank“ heißen sollte, damit deren Funktion deutlich wird. |
7. Türkenmilch/Türkmilch | Abwertender Begriff, der von rechten Aktivisten für die auf Türkisch und Deutsch beschriebenen Milchpackerl der NÖM geprägt wurde, was die Protestierenden als einen Angriff auf ihre einsprachige Identität auffassten. |
8. Unschuldsvermutung | In den Medien oft verwendeter Begriff, der im heurigen Jahr in Berichten über eine große Zahl bekannt gewordener Korruptionsaffären verwendet wird, um anzudeuten, dass der Verfasser keine Vorverurteilung vornimmt. |
9. Verpartnerung | Rechtsbegriff, mit dem die Verheiratung homosexueller Paare bezeichnet wird, jedoch deren rechtliche und soziale Schlechterstellung verschleiert. |
10. Verländerung | Neuwort, mit dem der Wunsch der österreichischen Bundesländer bezeichnet wird, mehr Kompetenzen (insbesondere im Schulbereich) bekommen, was von vielen als unvorteilhaft angesehen wird. |
Dieses Wort beschreibt Empfindungen, die auftreten, wenn jemandem die Verhaltensweisen einer anderen (meist bekannten) Person oder Gruppe so peinlich sind, dass man sich für diese schämt, während dies bei der betreffenden Personen gerade nicht der Fall ist. Angesichts des Verlusts an Qualität in vielen Bereichen (Bildung, Verwaltung, Krankenwesen usw.) und der Stagnation in der heimischen Politik verschiebt sich das Verantwortungsgefühl auf die einzelnen Bürger, die sich für die Zustände und die dafür Verantwortlichen immer öfter genieren (fremdschämen), obwohl die Lösung nicht in ihren Händen, sondern in jenen der zuständigen PolitikerInnen liegt, die aber vielfach untätig bleiben. Zum Wort des Jahres wurde es, da es auf ein weit verbreitetes Unbehagen verweist und als Wortschöpfung originell ist: ein durch ein Adjektiv bestimmtes Verb, das eine neue Art des (kollektiven) sich Schämens für andere bezeichnet.
Die besondere Qualität dieses Wortes besteht darin, dass es für Verhaltensweisen steht, die man früher als „verhaltensauffällig“, „undiszipliniert“ oder einfach „schlimm“ (vor allem bei Jugendlichen) bezeichnet hat. Nun wird für unangepasstes Verhalten das an sich positiv besetzte Wort „kreativ“ herangezogen. So wird der Sachverhalt des störenden Verhaltens je nach Kontext ironisch oder verschleiernd umschrieben.
Der Umstand, dass eine Abschiebung von Menschen ins Ausland einen Akt staatlicher Gewaltausübung darstellt und damit nicht „human“ ist, insbesondere, wenn sie Kinder betrifft, macht diesen Begriff widersprüchlich und damit sowohl aus sprachlicher wie auch aus sachlicher Sicht zum Unwort. Er verschleiert die zuletzt häufig erfolgte Abschiebung von gut integrierten Zuwandern, denen die Fremdengesetze entgegenstehen und geht auf die derzeitige Innenministerin zurück, die im Oktober 2010 angekündigt hat, dass sie veranlasst habe, Abschiebungen „humaner“ gestalten zu wollen.
Graz, 09.12.2010 – Die Jury
Bei diesem abwertenden Begriff handelt es sich um ein politisches Kampfwort von rechten Aktivisten, das gegen die auf Türkisch und Deutsch beschriebenen Milchpackerl der NÖM gerichtet ist. Den zweisprachigen Aufdruck fassten die Protestierenden als einen Angriff auf ihre einsprachige Identität auf, zugleich behauptete eine politisch rechts stehende Partei, dass dadurch der Entstehung von Parallelgesellschaften Vorschub geleistet würde. Es sollte bekannt sein, dass es in Österreich sieben anerkannte Sprachminderheiten gibt, die sich nicht zu einer Parallelgesellschaft entwickelt haben und dass Mehrsprachigkeit international als hoher Wert betrachtet wird.
Graz, 09.12.2010 – Die Jury
Ein vor allem von Arbeitgeberseite verwendetes Wort, das Menschen in Misskredit bringt, die sich krank melden und unterstellt, dass der Krankenstand nicht echt, sondern vorgetäuscht ist und damit eine Art Urlaub darstellt.
Graz, 09.12.2010 – Die Jury
Kabinenparty ist der Titel eines Rapsongs von Skero und Joyce Muniz, der 2010 als Song des Jahres mit dem Amadeus ausgezeichnet wurde. Das Lied (ein Videoclip) erreichte ausschließlich durch eine Kampagne auf Facebook und der Downloadseite auf Youtube den vierten Platz der österreichischen Singlescharts und damit vor allem in der Jugend enorme Bekanntheit. Es steht für einen ungezwungenen und spontanen Lebensstil, der mit einem lustigen Text und flotter Rapmusik dargestellt wird. Das Video wurde bereits 4.3 mio. Mal auf Youtube aufgerufen. Das Wort und die Art und Weise, wie das Lied bekannt wurde, steht für neue Wege der Verbreitung von Informationen und einen neuen Stil der Kommunikation über soziale Netze und Videoportale im Zeitalter der ausgebauten Internetnutzung. Link zum Video / Zum Text
Graz, 09.12.2010 – Die Jury
Hier handelt es sich um einen Freudschen Versprecher des derzeitigen Finanzministers, der damit unbeabsichtigt die tatsächlichen Verhältnisse des Budgets offen gelegt hat, da das Defizit des Staatshaushalts selbst nach vielfachen Sparmaßnahmen bestehen bleiben wird.
Graz, 09.12.2010 – Die Jury
In den Medien oft verwendete Formulierung, die im heurigen Jahr in unzähligen Berichten über zahlreiche Korruptionsaffären verwendet wurde, um anzudeuten, dass der Verfasser keine Vorverurteilung vornimmt und sich damit vor rechtlichen Schritten zu schützen versucht. Die hohe Anzahl dieser Affären und die diesbezüglichen Berichte, die mit der immer gleichen Formulierung enden, sind für viele irritierend und machen den Spruch aus sachlicher Sicht zum Unspruch. Zugleich dient der Spruch manchen kleinformatigen Medien als sinnentleertes Feigenblatt, um hinter dessen Schutz erst recht Vorverurteilungen vorzunehmen.
Graz, 09.12.2010 – Die Jury