Das österreichische Wort des Jahres 2010

Vorbemerkung der Jury

Analog zum deutschländischen Jugendwort des Jahres, hat die Jury 2010 erstmals ein österreichisches Jugendwort bestimmt.
Kandidatenwörter & Erklärungen

Wort des Jahres 2010

fremdschämen

Ergebnis

fremdschämen
328
verhaltenskreativ
208

Begründung

Dieses Wort beschreibt Empfindungen, die auftreten, wenn jemandem die Verhaltensweisen einer anderen (meist bekannten) Person oder Gruppe so peinlich sind, dass man sich für diese schämt, während dies bei der betreffenden Personen gerade nicht der Fall ist. Angesichts des Verlusts an Qualität in vielen Bereichen (Bildung, Verwaltung, Krankenwesen usw.) und der Stagnation in der heimischen Politik verschiebt sich das Verantwortungsgefühl auf die einzelnen Bürger, die sich für die Zustände und die dafür Verantwortlichen immer öfter genieren (fremdschämen), obwohl die Lösung nicht in ihren Händen, sondern in jenen der zuständigen PolitikerInnen liegt, die aber vielfach untätig bleiben. Zum Wort des Jahres wurde es, da es auf ein weit verbreitetes Unbehagen verweist und als Wortschöpfung originell ist: ein durch ein Adjektiv bestimmtes Verb, das eine neue Art des (kollektiven) sich Schämens für andere bezeichnet.


Graz, 09.12.2010 – Die Jury

Die besondere Qualität dieses Wortes besteht darin, dass es für Verhaltensweisen steht, die man früher als „verhaltensauffällig“, „undiszipliniert“ oder einfach „schlimm“ (vor allem bei Jugendlichen) bezeichnet hat. Nun wird für unangepasstes Verhalten das an sich positiv besetzte Wort „kreativ“ herangezogen. So wird der Sachverhalt des störenden Verhaltens je nach Kontext ironisch oder verschleiernd umschrieben.


Graz, 09.12.2010 – Die Jury

 

Unwort des Jahres 2010

humane Abschiebung

Ergebnis

humane Abschiebung
706
Türkenmilch/Türkmilch
162
E_CARD-Urlaub
73

Begründung

Der Umstand, dass eine Abschiebung von Menschen ins Ausland einen Akt staatlicher Gewaltausübung darstellt und damit nicht „human“ ist, insbesondere, wenn sie Kinder betrifft, macht diesen Begriff widersprüchlich und damit sowohl aus sprachlicher wie auch aus sachlicher Sicht zum Unwort. Er verschleiert die zuletzt häufig erfolgte Abschiebung von gut integrierten Zuwandern, denen die Fremdengesetze entgegenstehen und geht auf die derzeitige Innenministerin zurück, die im Oktober 2010 angekündigt hat, dass sie veranlasst habe, Abschiebungen „humaner“ gestalten zu wollen.


Graz, 09.12.2010 – Die Jury

Bei diesem abwertenden Begriff handelt es sich um ein politisches Kampfwort von rechten Aktivisten, das gegen die auf Türkisch und Deutsch beschriebenen Milchpackerl der NÖM gerichtet ist. Den zweisprachigen Aufdruck fassten die Protestierenden als einen Angriff auf ihre einsprachige Identität auf, zugleich behauptete eine politisch rechts stehende Partei, dass dadurch der Entstehung von Parallelgesellschaften Vorschub geleistet würde. Es sollte bekannt sein, dass es in Österreich sieben anerkannte Sprachminder­heiten gibt, die sich nicht zu einer Parallelgesellschaft entwickelt haben und dass Mehrsprachigkeit international als hoher Wert betrachtet wird.


Graz, 09.12.2010 – Die Jury

Ein vor allem von Arbeitgeberseite verwendetes Wort, das Menschen in Misskredit bringt, die sich krank melden und unterstellt, dass der Krankenstand nicht echt, sondern vorgetäuscht ist und damit eine Art Urlaub darstellt.


Graz, 09.12.2010 – Die Jury

Jugendwort des Jahres 2010

KABINENPARTY

Begründung

Kabinenparty ist der Titel eines Rapsongs von Skero und Joyce Muniz, der 2010 als Song des Jahres mit dem Amadeus ausgezeichnet wurde. Das Lied (ein Videoclip) erreichte ausschließlich durch eine Kampagne auf Facebook und der Downloadseite auf Youtube den vierten Platz der österreichischen Singlescharts und damit vor allem in der Jugend enorme Bekanntheit. Es steht für einen ungezwungenen und spontanen Lebensstil, der mit einem lustigen Text und flotter Rapmusik dargestellt wird. Das Video wurde bereits 4.3 mio. Mal auf Youtube aufgerufen. Das Wort und die Art und Weise, wie das Lied bekannt wurde, steht für neue Wege der Verbreitung von Informationen und einen neuen Stil der Kommunikation über soziale Netze und Videoportale im Zeitalter der ausgebauten Internetnutzung. Link zum Video / Zum Text


Graz, 09.12.2010 – Die Jury

Spruch des Jahres 2010

"Ich werde auf die Einhaltung des Defizits achten!" (Finanzminister J. Pröll am 24.11.2010 in der ZIB13)

Ergebnis

"Ich werde auf die Einhaltung des Defizits achten!" (Finanzminister J. Pröll am 24.11.2010 in der ZIB13)
 

Begründung

Hier handelt es sich um einen Freudschen Versprecher des derzeitigen Finanzministers, der damit unbeabsichtigt die tatsächlichen Verhältnisse des Budgets offen gelegt hat, da das Defizit des Staatshaushalts selbst nach vielfachen Sparmaßnahmen bestehen bleiben wird.


Graz, 09.12.2010 – Die Jury

Unspruch des Jahres 2010

Es gilt die Unschuldsvermutung!

Ergebnis

Es gilt die Unschuldsvermutung!
 

Begründung

In den Medien oft verwendete Formulierung, die im heurigen Jahr in unzähligen Berichten über zahlreiche Korruptionsaffären verwendet wurde, um anzudeuten, dass der Verfasser keine Vorverurteilung vornimmt und sich damit vor rechtlichen Schritten zu schützen versucht. Die hohe Anzahl dieser Affären und die diesbezüglichen Berichte, die mit der immer gleichen Formulierung enden, sind für viele irritierend und machen den Spruch aus sachlicher Sicht zum Unspruch. Zugleich dient der Spruch manchen kleinformatigen Medien als sinnentleertes Feigenblatt, um hinter dessen Schutz erst recht Vorverurteilungen vorzunehmen.


Graz, 09.12.2010 – Die Jury

Rudolf Muhr 1999-heute © All rights reserved.