Die Kandidatenwörter 2007 – Erläuterungen zu den einzelnen Wörtern
Bundestrojaner | Das Wort bezieht sich auf ein Computerprogramm, das heimlich die Aktivitäten des Computerbenützers aufzeichnet und ebenfalls heimlich an eine Person/Organisation weiterleitet. Ziel solcher Programme ist es, Informationen zu sammeln bzw. private und geschützte Daten (z.B. Passwörter oder Zugangsdaten zu Bankkonten) zu erfahren, um sie für sich nutzen zu können. Im Falle des „Bundestrojaners“ handelt es sich um ein solches Ausforschungsprogramm bzw. die Berechtigung zur Ausforschung von Internet- oder Computerbenutzer durch Polizeibehörden. Sie können auf bloßen Verdacht und ohne richterliche Genehmigung eingesetzt werden. Diese Maßnahme wurde im Dezember 2007 auf Antrag der Regierungsparteien SPÖ und ÖVP im Parlament beschlossen. |
Gnadenstaat | Dieses Wort wurde im Zusammenhang mit dem neuen Fremdengesetz 2005 geprägt, das vielen ausländischen Mitbürgern aufgrund rigider Bestimmungen den weiteren Aufenthalt erschwert. Ausnahmen von diesen oft unmenschlichen Bestimmungen gibt es nur durch sog. Gnadenerlässe des Innenministers. Daher der Ausdruck „Gnadenstaat“. |
gruscheln | Hier handelt es sich um eine Neubildung, die aus „grüßen + kuscheln“ geformt wurde und ursprünglich im Rahmen der Internetplatttform studivz in Deutschland entstand. Das Wort wird durch die Popularität der Plattform auch von Studenten in Österreich verwendet. Es meint eine bestimte Form der Kontaktaufnahme mit einem noch unbekannten Mitglied der Plattform, die auf eine persönliche Bekanntschaft im virtuellen Raum (oder vielleicht darüber hinaus) abzielt. |
humanitäres Bleiberecht | Hierbei handelt es sich um eine Forderung von Flüchtlingshilfsgruppen, die darauf abzielte, dass Asylwerber, die sich schon längere Zeit aufhalten, ein „humantitäres Bleiberecht“ eingeräumt werden sollte, d.h. man sollte ihnen den uneingeschränkten Aufenthalt ermöglichen. Sie kam auf, nachdem eine 15-jährige albanische Asylwerberin, mit Selbstmord drohte. Sie sollte nach langem Aufenthalt in Österreich in ihre Heimat abgeschoben werden. Die Forderung wurde von der derzeitigen Regierung abgelehnt. |
Migrationshintergrund | Dieses Wort kam in den letzten Jahren in Mode und wird dazu verwendet, um auszudrücken, dass jemand zugewandert ist – einen Migrations- hintergrund hat. Es wird vor allem dazu verwendet, um den Begriff „Zuwanderung/Zuwanderer“ zu vermeiden, da es in Österreich (nach dem Willen der meisten Parteien) offiziell keine Zuwanderung gibt/geben soll. |
Neue Mittelschule | Auch hier handelt es sich um eine Umschreibung, und zwar für den Begriff „Gesamtschule“, die von einer der beiden Regierungsparteien vehement abgelehnt wird. Die Schulform, die sich aus langen Verhandlungen als Kompromiss ergab und nun eingerichtet wird, nennt sich nun „Neue Mittelschule“. |
Pflege-Amnestie | Bei der Pflege-Amnestie handelte es sich um eine gesetzliche Maßnahme im Laufe des Jahres 2007, die es ermöglichte, illegal und privat beschäftigtes Pflegepersonal für alte oder schwerkranke Menschen für einen begrenzten Zeitraum weiterhin illegal (d.h. unangemeldet) zu beschäftigen. Der Hintergrund dieser ungewööhnlichen Maßnahme war die hohe finanzielle Belastung, die durch die Legalisierung der Arbeitsverhältnisse entstanden und für viele nicht leistbar gewesen wäre. In der Zwischenzeit wurde eine staatliche Regelung der Pflege hilfsbedürftiger Menschen beschlossen. |
Raucheroase | Hierbei handelt es sich um abgegrenzte Räume oder Bereiche in öffentlichen Gebäuden oder Lokalen, in denen das Rauchen noch erlaubt ist. Dies ist eine Folge des Rauchverbots, das in vielen Ländern eingeführt wurde und die Raucher zum Rückzug in eine „Oase“ zwingt. |
Überwachungsstaat | Sie oben „Bundestrojaner“. |
Umfaller | Dieser Begriff wurde 2007 und davor häufig im Zusammenhang mit dem Verhalten mancher Politiker verwendet, die versprochene Maßnahmen nicht eingehalten oder sogar das Gegenteil davon gemacht haben. |
Die Kandidatenwörter 2007 – Erläuterungen zu den einzelnen Wörtern
artfremd | Das Wort wurde 2007 vom einem österreichischen Landeshauptmann verewendet. Er meinte, dass „Moscheen für Niederösterreich artfremd“ seien. Von Kommentatoren wurde diesbezüglich darauf verwiesen, dass dieser Ausdruck in der NS-Zeit häufig gebraucht wurde und es im mindesten Fall eine grobe sprachliche Fahrlässigkeit eines führenden Politikers ist, wenn man einen solchen Ausdruck in der heutigen Zeit wieder gegenüber einer anderen Religion verwendet. |
aufenthaltsbeendende Maßnahme | Hier handelt es sich um typisches Bürokratensprech aus dem Umkreis des Innenministeriums, das in Zuammenhang mit der Abschiebung und Ausweisung von unverwünschten ausländischen MitbürgerInnen verwendet wird. |
gendern | Dieses aus dem Englischen entlehnte Wort bezeichnet Maßnahmen, die die rechtliche und wirtschaftliche Gleichstellung der Frauen zum Ziel haben. Dazu gehört auch die sog. „gendergerechte Sprache“, d.h. die Verwendung von weiblichen Berufsbezeichnungen usw. |
Kindergeldsünder | Dabei handelt es sich um jene bedauernswerten Eltern, die das seit 2002 neu eingeführte Kindergeld beziehen und den Aussagen eines früheren Sozialministers geglaubt haben, wonach die sog. „Zuverdienstgrenze“ nicht kontrolliert würden. Nicht wenige Eltern haben während der Bezugszeit des Kindergeldes mehr verdient als vom Gesetz erlaubt war und wurden dadurch zu „Kindergeldsündern“. Das Kindergeld musste zurückgezahlt werden, da die Nachfolgerin des Ministers die Einhaltung des Gesetzes verlangte und die Höhe des Einkommens überprüfen ließ. Der Ausdruck wurde von Jounalisten geprägt. |
Komasaufen | Seit einiger Zeit, besonders aber in den letzten beiden Jahren wird in den Medien verstärkt von jungen Menschen, oft auch noch von Kindern berichtet, die sich bis zur Bewusstlosigkeit betrinken und mit schweren Vergiftungserscheinungen in das Spital eingeliefert werden mussten. Bemerkenswert ist daran die enorme Skandalisierung des zweifelsohne vorhandenen Problems bei gleichzeitiger Vermeidung des Ansprechens des zugrundeliegenden sozialen Problems, das in zunehmender Verarmung breiter Bevölkerungschichten, der Reduktion sozialer Dienste und der Auseinanderentwicklung der Gesellschaft besteht. |
sich einbringen | Bei diesem Ausdruck handelt es sich um eine sprachliche Modeerscheinung aus dem Umfeld der Psychologie. Es kam auf die Liste, weil einige Jurymitglieder genervt feststellten, dass man ständig genötigt wird „sich einzubringen“ oder sich jemand penetrant in den Vordergrund schiebt, indem er/sie sich einbringt. |
Verratsparagraf | Wer illegale Ausländer vor dem Zugriff der Fremdenpolizei versteckt und ihnen so den „unbefugten Aufenthalt erleichtert“, riskiert laut Paragraf 115 Fremdenpolizeigesetz (FPG) bis zu einem halben Jahr Haft. Er zwingt auch Familienangehörige zur Aussage gegen die eigenen Verwandten, was einmalig in der österreichischen Rechtsgeschichte ist, da man sonst überall ein Entschlagungsrecht hat, wenn man Verwandte belastet. Allein im ersten Halbjahr 2007 wurden laut einem Zeitungsbericht 69 Menschen angezeigt und sechs verurteilt. |
Vorratsdatenspeicherung | Gemeint ist die Speicherung aller elektronischen Daten „auf Vorrat“, die im Rahmen des Handy-Telefonierens und der Benutzung des Internets anfallen, für 6 Monate lang gespeichert werden müssen, damit die Sicherheitsbehörden (Polizei, Geheimdienste) bei Bedarf darauf zugreifen können. Zum Unwort wird es, da die eigentlich gemeinte Sache gekonnt verschleiert wird. |
vorübergehende Inmitleidenschaftsziehung | Dieser seltsam anmutende Ausdruck entschlüpfte den Lippen des österreichischen Bankiers Julius Meinl V. als er vom Fersehmoderator gefragt wurde, wie er denn den Umstand bezeichnen würde, dass tausende Anleger der Fonds der Meinl-Bank, ihr Geld verloren hatten. |
Zickenkrieg | Dieses eher unangenehme Wort schaffte es auf die Liste der Unwörter, da durch die Boulevardisierung des Privatfernsehens und mancher Printmedien ständig über irgendwelche Konflikte zwischen Prominenten weiblichen Geschlechts meistens in abfälligem Ton und skandalisierend berichtet wird. |
(1) Das Wort verweist in knapper Form und zugleich auf pointierte Weise auf aktuelle Entwicklungen im gegenwärtigen öffentlichen Leben unseres Landes, die höchst umstritten, aber offizielle staatliche Politik sind. Sie bestehen im Versuch staatlicher Stellen, unter Verweis auf Verbrechens- und Terrorismusprävention zu ständig neuen gesetzlichen Mitteln der unkontrollierten Überwachung der gesamten Bevölkerung zu greifen, „wenn bestimmte Tatsachen die Annahme einer konkreten Gefahrensituation rechtfertigen“1.
(2) Das Wort ist zudem ein Symbol für die mit der sog. „Gefahrennotwehr“2 verbundene Relativierung bzw. Aufhebung von bisher verbrieften Grundrechten und die beabsichtigte staatliche Verwendung von Programmen zum Ausspionieren und Überwachen privater Computer ohne Wissen des Besitzers – was bisher lediglich von illegal operierenden Hackern vorgenommen wurde. Hiermit macht sich der Staat diese zuvor illegalen Vorgangsweisen zu eigen, legalisiert sie für sich und entzieht sie weitgehend der Kontrolle der Justiz.
(3) Die Tragweite dieser und anderer höchst kontroversieller Überwachungsmaßnahmen scheint vielen BürgerInnen noch nicht bewusst zu sein. Das Wort wurde von der Jury einstimmig zum Wort des Jahres 2007 gewählt.
1+2 Zitiert aus dem Antrag der beiden Regierungsparteien: http://futurezone.orf.at/it/stories/242015/
Diese interessante Neubildung aus grüßen + kuscheln entstand ursprünglich in Deutschland im Rahmen der Internet- und Informationsplattform studivz, die für Studenten gedacht ist und auch bei österreichischen Studierenden sehr beliebt geworden ist.
Das Wort beschreibt dort die freundliche Kontaktaufnahme mit anderen Mitgliedern der Plattform, die über das formelle Kontaktieren hinausgeht und mit noch unbekannten Mitgliedern der Plattform einen vertrauteren Umgang anstrebt.
Der Ausdruck verweist auch darauf, dass durch die neuen Kommunikationsformen des Internets neue Formen der Kontaktaufnahme und Beziehungsstiftung und damit verbundene Sprachneuschöpfungen entstehen und der Verbreitung dieser neuen Wörter keine Grenzen gesetzt sind.
Dieses Wort ist eine wunderbar widersprüchliche Neubildung – stellt man sich unter einer Oase doch ein Refugium aus sauberer Luft, Palmen und saftig grünen Wiesen inmitten einer unwirtlichen Umwelt vor.
Tatsächlich beschreibt das Wort durch die Einschränkungen des Rauchens in der Öffentlichkeit jedoch einen Ort, an dem das Rauchen weiter erlaubt ist sowie Ansammlungen von Leuten, die dem Rauchen weiter frönen und damit das Gegenteil von sauberer Luft und der Umwelt in „echten“ Oasen bewirken.
In übertragener Bedeutung könnte es auch für ein ganzes Land verwenden werden, in dem noch liberalere Rauchergesetze als anderswo gelten, und das damit als Ganzes zu einem Zufluchtsort für Raucher wird.
Dieses Wort wird dadurch zum Unwort des Jahres, da es eine negative gesellschaftliche und soziale Entwicklung stark skandalisiert und zu einem individuellen Problem desorientierter und schlecht betreuter junger Menschen macht.
Es schiebt den Opfern dieser negativen Entwicklungen die Verantwortung zu und trägt dadurch zu deren Stigmatisierung bei, ohne dass die tieferen sozialen Gründe für dieses Verhalten auch nur angesprochen oder gelöst werden.
Dieses Lehnwort aus dem Englischen steht ursprünglich für Maßnahmen, die die Gleichberechtigung der Frauen in der Gesellschaft fördern und Diskriminierungen abbauen sollen.
Zum Unwort wird es nicht durch die Sache, sondern allein durch die gegenwärtige Praxis von Firmen, Institutionen und Behörden, die die Gleichberechtigung von Frauen vielfach auf sprachliche Maßnahmen reduzieren und damit zu einer reinen Alibihandlung machen.
Der Begriff und damit verbundene Maßnahmen ändern in der gegenwärtigen Praxis allerdings nichts an der deutlich geringeren Bezahlung oder an den schlechteren Aufstiegschancen für Frauen. Eine an sich gute Sache, die auf die Gleichstellung von Mann und Frau abzielte, wird so aufgrund der Praxis in ihr Gegenteil verkehrt, gleichzeitig aber der Anschein von Gleichberechtigung erweckt.
Dieses sehr österreichische Wort macht KindergeldbezieherInnen, welche die Höchstverdienstgrenze überschritten haben, zu Sündern, obwohl sie in gutem Glauben gehandelt haben.
Tatsächlich haben sie lediglich den Aussagen eines Ministers der früheren Regierung geglaubt, dass die Höchstverdienstgrenzen nicht kontrolliert und damit nicht gelten würden. Dass der Minister damit öffentlich zum Gesetzesbruch aufgerufen hat, blieb ohne Folgen für ihn, nicht aber für die KindergeldbezieherInnen ab dem Zeitpunkt als die Nachfolgerin des Ministers die gesetzlichen Bestimmungen überprüfen ließ.
Zum Unwort wird dieses Wort daher durch die politischen Umstände, die viele Kindergeldbeziehende zu Gesetzesbrechern („Sündern“) werden ließen.
Hier entschlüpfte dem früheren Berufspolitiker Hubert Gorbach ein wahres Wort. Für Berufswechsler mit einem gewissen Ambitionsniveau ist die Rückkehr in die Enge eines früheren Tätigkeitsbereichs sicherlich mehr als schmerzhaft.
Und dies um so mehr als sich die Einengung im Falle des besagten Politikers mit Österreichs kleinstem Bundesland verband, das für ihn in starkem Kontrast zu den Weiten der hohen Politik zu stehen scheint.
Das kam für viele in Österreich einigermaßen überraschend, denn schließlich weiß man seit langem: „Small is beautiful!“ (Schumacher 1973, Wirtschaftswissenschaftler)
Dieser Spruch könnte der harmlose Werbeslogan einer Putzfirma sein.
Zum UN-Spruch wird er jedoch dadurch, dass es sich dabei um das politische Programm einer wahlwerbenden Partei handelt, die Graz von „unerwünschten“ Menschen säubern will und damit sowohl in der Wortwahl, als auch von den Absichten her auf Zeiten zurückgreift, die als überwunden galten.
Und ganz offensichtlich wird Graz dadurch nicht „sauberer“, sondern einmal mehr wird hier die Ausgrenzung und Enthumanisierung von Menschen zum Programm gemacht.